Die Wiederkehr der Sklaven: Sklaverei und Abhängigkeit im Vorderen Orient und auf dem indischen Subkontinent
Symposium der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz – 7. bis 8. November 2018, in Verbindung mit der Universität Hamburg
Organisation: Stefan Heidemann (Universität Hamburg), Daniel Schwemer (Universität Würzburg), Walter Slaje (Universität Halle-Wittenberg) und Winfried Schmitz (Universität Bonn)
Die Sklaverei, die mit dem amerikanischen Bürgerkrieg und in der Folge des Mahdī-Aufstandes im Sudan in den 1880ern welthistorisch weitgehend gebannt zu sein schien, hat in den letzten Jahren eine unangenehme Aktualität erfahren. Der Islamische Staat und Boko Haram propagieren die Sklaverei offen als Teil ihrer islamischen Identität. Sie berufen sich auf das vormoderne klassische Islamische Recht und können so anderen islamistischen Strömungen, die Sklaverei aus islamrechtlichen Gründen ablehnen, die Authentizität absprechen. Mauretanien gilt als das Land mit der höchsten Quote an Sklaven in der Welt. In Libyen fanden im November 2017 Sklavenauktionen von Migranten aus dem subsaharischen-Afrika statt. Ähnlich, was die Bestimmung über den Menschen jenseits seiner Arbeitsleistung anbelangt, sind Formen der Migration in die Golfländer. Die Arbeitsbedingungen in den ‚Labor Camps‘ zur Vorbereitung der Fußballweltmeisterschaft in Qatar werden vom Global Slavery Index als Sklaverei angesprochen. Das Sponsorsystem in arabischen Golfsaaten (kafāla), generationenübergreifende ‚Bonded Labour‘ oder die moderne Schuldknechtschaft in Indien tragen Züge, die der Sklaverei vergleichbar sind. Spätestens im frühen 21. Jahrhundert werden Formen der Sklaverei wieder aktuell.
Die Geschichte der Sklaverei, des Menschen als Eigentum oder sein Besitz durch Gewalt und Ausbeutung, ist global und war niemals auf die klassische Antike und den transatlantischen Menschenhandel beschränkt. Die Begründung der Institution war rechtlich vielfältig ausgestaltet. Das Symposium nimmt zwei Großregionen, die historisch vielfältige Verbindungen miteinander haben, in den Blick, den Vorderen Orient und den indischen Subkontinent. Die Sklaverei im Vorderen Orient hat eine lange Geschichte, die bis in das alte Mesopotamien zurückreicht. Da Imperien ihre Bewohner meistens vor Versklavung schützten, bezogen Imperien den Nachschub aus politisch fragmentierten ‚Sklavenzonen‘. In der vormodernen islamischen Zivilisation wurde die antike Sklaverei fortgesetzt, aber in andere rechtliche Formen gegossen. Handelsströme der menschlichen Ware gingen von Nordafrika bis in den Irak, von Osteuropa nach Spanien und Zentralasien, und von Südrussland nach Ägypten.
Anders sah es auf dem indischen Subkontinent aus. Dort wurden sklavische Abhängigkeitsverhältnisse als Teil der natürlichen Ordnung angesehen. Der Bedarf an Sklaven wurde vorwiegend innerhalb der Gesellschaft abgedeckt. Die Institution der Sklaverei ist begründet durch die Vorstellung einer Hierarchie von Geburtsklassen und der Stufung nach angeborenen Reinheitsgraden. Dadurch war sie gleichzeitig in die Strukturen des weltlichen und religiösen Rechts eingebettet. Diese Strukturen wirken bis heute nach.
Das Symposium schließt sich mit seinen Fragestellungen an das seit 60 Jahren laufende, inzwischen abgeschlossene Projekt „Forschungen zur antiken Sklaverei“ der Akademie der Wissenschaft und der Literatur in Mainz an.
Das Symposium beginnt am Mittwochnachmittag und endet mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion am Donnerstagnachmittag.
[ Program ]
TEST
Photo: © Grace Forrest/ Walk Free Foundation
Photo from the stone cutting district of Varanasi, India.
Photo: © Grace Forrest/ Walk Free Foundation
This picture was taken in India, in a community recenty liberated from intergenerational debt bondage under the control of a landlord. The community now uses their carpet weaving skills to generate a fair income.
Photo: © UHH/ Heidemann
Mamluk riders in a fight
41.140 © Rogers Fund 1941, The Metropolitan Museum of Art
Photo: © The Trustees of the British Museum
Ancient wall relief from the palace of the newassyrian king Sanherib in Ninive (Southwestern palace, Mossule, North Irak) seventh century AD. Assyrian soldier transported chaldean prisoners including women, children and cattle during their deportation through date palm trees in southern Babylonia.
British Museum, WA 124954 (© The Trustees of the British Museum)
Photo: © Grace Forrest/ Walk Free Foundation
Refugee Camp in Lebanon
Photo: © UHH/ Heidemann
Podium discussion during the conference
Photo: © UHH/ Heidemann
Photo of the participants of the conference
Photo: © UHH/ Heidemann
Before the start of the conference
Abstracts
Stella Freitag (Walk Free Foundation, Perth)
Moderne Sklaverei – Konzept, globales Ausmaß und Brennpunkte
Moderne Sklaverei ist ein Sammelbegriff, der verschiedene Formen der Ausbeutung von Menschen umfasst. Moderne Definitionen ergeben sich zumeist aus juristischen Modellen, die in internationalen Abkommen Gestalt gewinnen, wie zum Beispiel ‚Menschenhandel‘, ‚Zwangsarbeit‘ oder ‚Schuldknechtschaft‘. Alle Erscheinungsformen moderner Sklaverei haben eine Gemeinsamkeit: Es handelt sich eine Ausbeutung, die eine Person weder verweigern oder ihr entkommen kann. Das Projekt „Global Slavery Index“ versucht diese komplexen Konzepte messbar zu machen und ist weltweit das einzige Projekt, das die Verbreitung der Sklaverei heute auf nationaler Ebene misst. Die Begriff der ‚modernen Sklaverei‘ sowie Methodik zur ihrer Messung werden erläutert. Die wesentlichen Erkenntnisse des 2018 erscheinenden ‚Global Slavery Index‘ werden auf globaler Ebene betrachtet, wobei hier ein Fokus auf die den derzeitigen Brennpunkte im Vorderen Orient gelegt wird wird, zum Beispiel Mauretanien und Libyen. Zum Abschluss werden die wichtigsten Implikationen für die politische Arbeit zur Bekämpfung moderner Sklaverei diskutiert.
Stella Freitag ist wissenschaftliche Mitarbeitern bei der internationalen Menschenrechtsorganisation „Walk Free Foundation“ (Perth, Australien) und Mitautorin des „Global Slavery Index“. Sie konzentrierte sich auf die quantitative und qualitative Forschung sowie Interessensvertretung im Bereich moderner Sklaverei. Stella Freitag studierte an der University of Western Australia und schloss mit einem M.A. in Internationalen Beziehungen ab.
Prof. Sabine Damir-Geilsdorf (Universität zu Köln)
Formen neuer Sklaverei? Kafāla, Schuldknechtschaft und ‚Human Trafficking‘ in den arabischen Golfstaaten
Ein schneller demographischer Wandel setzte auf der arabischen Halbinsel seit der Entdeckung großer Ölvorkommen in den dreißiger Jahren ein. Besonders seit den sechziger Jahren fand eine Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften in die sechs Staaten des Golfkooperationsrats (Bahrain, Kuweit, Oman, Saudi-Arabien, Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten) statt. Derzeit stellen ArbeitsmigrantInnen, vor allem aus Süd- und Südostasien etwa 60% der Gesamtbevölkerung der Region, in manchen Ländern sogar bis zu 90% der ArbeitnehmerInnen. Zumeist regelt das kafāla-System die Arbeitsbedingungen, den Aufenthalt und die Mobilität des einzenen. Die Geschichte und die Entwicklung des kafāla-Systems zur Regulierung und Kontrolle von Arbeitsmigration werden vorgestellt. Verschiedene Fallbeispiele verdeutlichen, wie einerseits die strukturellen Eigenschaften der kafāla sowie andererseits illegale Praktiken in den Entsende- und Ankunftsländern zu neuen Formen von Schuldknechtschaft und ‚Human Trafficking‘ führen. Es wird auch aufgezeigt, wie sich Einzelne Freiräume durch Subversion oder Praktiken am Rande jeweils gültiger Legalität verschaffen.
Sabine Damir-Geilsdorf ist Professorin für Islamwissenschaft an der Universität zu Köln. Sie ist geschäftsführende Direktorin des Orientalischen Seminars und Vorstandsmitglied des Global South Studies Center (GSSC) an der Universität. Zu ihren Forschungsschwerpunkten und -interessen gehören Transformationen religiöser Konzepte und Wissensordnungen, religiös-politische Bewegungen, Flucht und Asyl, Arbeitsmigration in den arabischen Golfstaaten und Salafismus in Deutschland. Sie ist Mitherausgeberin des Bands “Bonded Labour. Global and Comparative Challenges (18th to 21st Century)” (2016).
Prof. Stefan Heidemann (Universität Hamburg)
Sklaven in der vormodernen islamischen Welt
Ausgehend von der Ideen von Jeffrey Fynn-Paul wird die politische Geographie der Sklaverei im frühen islamischen Reich (7.-10. Jahrhundert)untersucht.
Im unmittelbaren politischen und militärischen Herrschaftsgebiet des Reiches ist es im Prinzip nicht möglich Menschen zu Sklaven zu machen (non-slaving zones).
Sklaven werden aus den Gebieten der kommerziellen und kulturellen (d. h. der religiösen) Dominanz erworben (d.h. aus dem westlichen Magheb, Kaukasus/Südrußland, Transoxanien, dem Oman, u. a.). Sie stammen aber oft aus den noch weiter entfernt liegenden kommerziellen Einflußgebieten des Reiches , dem Osteuropa bis zur Ostsee, subsaharischen-Afrika, Zentralasien, den ostafrikanischen und indischen Küsten der Arabischen See).
Im zweiten Teil wird auf die Wirkung von Religion und Recht für die Sklaverei eingegangen. Zum einen gab es ein Verbot der Versklavung von Muslime durch Muslime, und zum anderen war die praktische Wirkung des islamischen Rechtes dahin gehend, dass die Nachkommen von Sklaven meistens frei oder Freigelassene waren. Dies bedeutet praktisch eine ‚Ein-Generationen-Sklaverei‘ im islamischen Kontext
Der dritte Teil behandelt die wirtschaftliche Bedeutung der Sklaverei für die Gesellschaft des islamischen Reiches. In der Landwirtschaft wurden, soweit es uns die Quellen berichten, Sklaven nur im Südirak im 9. Jahrhundert in größerem Maße eingesetzt. Die überwiegende Anzahl der Sklaven scheinen für Privathaushalte innerhalb des Reiches gekauft worden zu sein. Dort waren sie neben klassischen Haushaltssklaven, auch Handelsvertreter, und Buchhalter. Es gab eine sehr große Schicht der Bevölkerung, die über disponibles Einkommen verfügte, und die sich die Anschaffung eines Sklaven oder einer Sklavin leisten konnten. Da es sich um eine ‚Ein-Generationen Sklaverei‘ handelte, war der Bedarf an Sklaven kontinuierlich groß. Dies erklärt die besondere wirtschaftliche Bedeutung der ‚slaving-zones‘ für das islamische Reich.
Sklaven wurden auch im Militär eingesetzt. Die rechtliche Form war zwar die des Sklaven, jedoch ist die gehobene soziale Stellung, das heißt der Elitenstatus der Militärsklaven mit zu beachten. Die Quellen berichten fast nur von osteuropäischen Militärsklaven in Spanien und zentralasiatischen Militärsklaven im islamischen Kernreich. Dies lässt vielleicht den Rückschluss zu, dass die anderen genannten‘ slaving-zones‘ im Wesentlichen Haushaltssklaven exportierten.
Stefan Heidemann ist seit 2011 Professor für Islamwissenschaft an der Universität Hamburg, und derzeit Principal Investigator des vom europäischen Forschungsrat geförderte Projektes „The Early Islamic Empire at Work – The View from the Regions Toward the Center“ sowie Herausgeber der Zeitschrift Der Islam. Zuvor arbeitete er als Associate Curator am Metropolitan Museum of Art und lehrte am Bard Graduate Center in New York. Er promovierte an der Freien Universität in Berlin im Jahr 1993, und habilitierte im Jahr 2001 an der Universität Jena im Fach Islamwissenschaft. Er arbeitet mit deutschen, britischen, französischen und syrischen archäologischen Missionen in al-Raqqa, Damaskus, Aleppo, Masyaf, Balkh und anderen Orten zusammen.
Prof. Rüdiger Lohlker (Universität Wien)
Sklaverei als Ausdruck der Apokalypse – Das Beispiel Islamischer Staat
Der Islamische Staat (IS) zeichnet sich durch mehrere Charakteristika aus. Eines ist seine offensive Propagierung der Versklavung insbesondere von Nichtmusliminnen, wobei die Definition dafür variabel bleibt. Diesem Phänomen wird in mehrererlei Hinsicht nachgegangen: Zum einen wird textarchäologisch die Einbettung der Sklaverei in die IS eigene Literatur untersucht mit der der IS seine Legitimität aus der islamischen Gelehrtentradition zu beziehen anstrebt. Zum anderen wird die die Kommunikation des IS und ihre spezifische psychologische Kriegsführung analysiert. Und drittens wird nach der Einbettung des IS in die politische Landschaft der Region gefragt. Eine Anbindung an die islamischen Traditionen ist jedoch nur sehr vermittelt festzustellen.
Rüdiger Lohlker ist seit 2003 Professor für Islamwissenschaften an der Universität Wien und seit 2010 Leiter des Universitätslehrgangs ‚Muslime in Europa‘. Seit 2017 gibt er Kurse für Gefängnis- und Spitalsimame und SeelsorgerInnen. Er ist außerdem Leiter mehrerer großer Forschungsprojekte.
Prof. Michael Jursa (Universität Wien)
Formen abhängiger Arbeit im Alten Orient in der Eisenzeit
Der Vortrag diskutiert die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen sowie die ökonomische Relevanz abhängiger Arbeit in den altorientalischen Imperien des ersten Jahrtausends v.Chr. Die ganze Bandbreite bezeugter Institutionen, von ‚persönlicher‘ Versklavung über kollektive Abhängigkeit zu saisonaler corvée-Arbeit, wird besprochen und kontextualisiert.
Michael Jursa ist Professor für Assyriologie an der Universität Wien und wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der mesopotamischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Zu den wichtigsten Publikationen zählen „Aspects of the Economic History of Babylonia in the First Millennium BC” (2010) und „Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents: Typology, Contents and Archives” (2005).
Sklaverei im vormodernen Indien
„Bei den Indern ist kein Fremder Sklave und erst recht kein Inder.“ So lautet eine berühmte Stelle in der Indica des Arrian. Doch diese Aussage ist falsch, denn schon in indischen Quellen des Altertums sind Sklaven nachweisbar. Allerdings war die Sklaverei im alten Indien nie so verbreitet wie in der Mittelmeerwelt des Altertums und wohl auch nicht so auffällig, da die meisten Sklaven im häuslichen Bereich eingesetzt wurden. Für Untersuchungen zu den altindischen Rechtsvorstellungen bezüglich der Sklaverei stehen vor allem zwei Quellen bzw. Quellengattungen zur Verfügung: Erstens, das der Staatsrechtslehre zuzuordnende Kauṭilīya-Arthaśāstra, das in der heute vorliegenden Form wohl im 2. Jh. n.Chr. kompiliert wurde. Zweitens, die der brahmanischen Rechtsliteratur zugehörigen Dharmaśāstras, deren wichtigste Werke wahrscheinlich in der Zeit vom 2. bis zum 6. Jh. n.Chr verfasst wurden. Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Sklaven geben ferner: jinistische und buddhistische Texte sowie die weltliche Erzählungsliteratur und die Epen. All diesen Quellen ist gemeinsam, dass sie aus unterschiedlichen Regionen und Zeiten stammen und oft von heterogener Natur sind. Erschwerend kommt hinzu, dass Inschriften, die in der Regel besser zu datieren und zu lokalisieren sind, kaum Material zu Sklaven enthalten. Es soll versucht werden, die Entwicklungen in den Rechtsvorstellungen zu Sklaven und Sklaverei im indischen Altertum unter zwei Hauptaspekten nachzuzeichnen: Welches sind die wesentlichen Charakteristika, die in Indien mit dem Sklavenstatus assoziiert werden? Und welche Formen der Sklaverei werden unterschieden?
Annette Schmiedchen hat an der Humboldt-Universität zu Berlin Indologie studiert und dort auch in diesem Fach promoviert. Ihre Habilitation erfolgte 2009 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit der Schrift „Inschriftenkultur und Regionaltradition im frühmittelalterlichen Maharashtra: Legitimation politischer Herrschaft und offizielles religiöses Patronat unter den königlichen Dynastien der Rāṣṭrakūṭas, Śilāhāras und Yādavas vom 8. bis 13. Jahrhundert“.
Prof. em. Jakob Rösel (Universität Rostock)
‚Bonded Labour‘ – Formen der Schuldknechtschaft, Armut und ökonomischen Abhängigkeit in der kolonialen und postkolonialen Entwicklung Indiens
Seit der Kolonialzeit veränderte sich das Rahmenwerk innerhalb dessen Schuldknechtschaft und sozioökonomische Ausgrenzung definiert, organisiert und reguliert werden, und fand zu neuen Formen.
Jakob Rösel promovierte und habilitierte in Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Freiburg. Mehrjährige Feldforschungen führten ihn nach Indien und Sri Lanka. Unter anderem arbeitete er über den ‚Palast des Herrn der Welt‘ Jagannath Puri im indischen Staat Odisha, über den singhalesischen Nationalismus und den Bürgerkrieg der ‚Liberation Tigers of Tamil Eelam‘ auf Sri Lanka. Im Jahr 2000 wurde er auf den Lehrstuhl Internationale Politik und Entwicklungspolitik am Politikwissenschaftlichen Institut der Universität Rostock berufen. Seit 2004 ist er emeritiert.
Conference Flyer / Program
In this section you can find the flyer of the symposium "DIE WIEDERKEHR
DER SKLAVEN - Sklaverei und Abhängigkeit im Vorderen Orient und auf dem indischen Subkontinent“ Nov. 7-8, 2018, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
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Conference Report
In this section you can find the conference report of the symposium "Die Wiederkehr der Sklaven – Sklaverei und Abhängigkeit im Vorderen Orient und auf dem indischen Subkontinent/ The Return of the Slaves – Slavery and Dependency in the Near and Middle East and on the Indian Subcontinent" held at the Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Nov 7. - 8. 2018
Symposium der Akademie der Wissenschaften und der Literatur
7. - 8. November 2018, Mainz
Die Wiederkehr der Sklaven: Sklaverei und Abhängigkeit im Vorderen Orient und auf dem indischen Subkontinent
Conference Report
Prof. Stefan Heidemann (Universität Hamburg)
Ziel des Symposiums war es zum einen eine Lücke in der Analyse der historischen und gegenwärtigen Sitution im Vorderen Orient und auf dem indischen Subkontinent zu schließen. Der Diskurs über Formen von Sklaverei und ähnliche Formen der Abhängigkeit ist häufig dominiert von dem Diskurs über die transatlantische Sklaverei, Afrika und die Antike.
Zum anderen lag die Stärke des Symposiums in seiner Interdisziplinarität. In den von den Vortragenden vertretenen Fächern, Islamwissenschaft, Indologie, Politikwissenschaft, Altorientalistik und der politischen Anti-Slavery Advocacy mag zwar schon das eine oder andere vertieft erforscht sein, aber wie die Begrifflichkeiten, Abgrenzungen, historischen Situationen, Quantifizierungen und rechtlichen Ausgestaltungen in den jeweils anderen Regionen, Epochen und Fächern ausformuliert sind, war neu. Es regte an, das Phänomen im globalen Kontext neu zu überdenken.
Der Diskurs über die Fachgrenzen hinweg erlaubte eine Reihe von Einsichten, die es lohnt in einer Publikation festzuhalten. Sklaverei scheint keine conditio humana gewesen zu sein. In der globalen, epochenübergreifenden Perspektive zeichnet sich ein Ablösungsprozess hierarchischer Haushaltsstrukturen hin zu der Unterscheidung von ‚frei‘ und ‚unfrei‘ ab, der sich über Jahrhunderte hinzieht. Dieser Prozess scheint vermutlich im Alten Orient seinen Ausgang genommen zu haben (Michael Jursa). Ausgangspunkt war eine hierarchische, oft auch mit Gewalt und (physischer) Disposition über seine Mitglieder verbundene Herrschaft des Haushaltvorstandes oder ‚pater familias‘ über seinen oikos oder Haushalt. Er konnte Frau und Kinder ebenso wie nichtverwandte Mitglieder des Haushalts verkaufen. In dieser sozialen Ordnung wäre nur der Haushaltsvorstand, als freier Mensch zu betrachten. Die sich dann entwickelnde Unterscheidung von freien und unfreien Menschen scheint mit dem Auftreten der Geldwirtschaft zusammenzuhängen. Dass dies noch nicht in der antiken Wirtschaft und im frühen Indien vollständig geschehen ist, könnte daran liegen, dass die Geldwirtschaft noch nicht alle Bereiche des menschlichen sozialen Agierens durchdrungen hatte. Die Behandlung der Begrifflichkeiten im alten Indien verdeutlichte dieselbe Problematik. Eine einfache Unterscheidung zwischen Sklave und Herr kann die hierarchischen Abhängigkeitsverhältnisse nicht ausreichend charakterisieren (Annette Schmiedchen). Dies war vermutlich in der späteren römischen Kaiserzeit oder dem Islamischen Reich, als es eine hochentwickelte Geldwirtschaft gab, anders. Beide Gesellschaften hatten einen hohen Bedarf an Sklavenarbeit. Während es in der Antike einen starke Nachfrage in den Bereichen Landwirtschaft, Bergbau, Handel, Gewerbe, und im Haushalt gab, so scheint dieser Bedarf in der islamischen Welt vor allem aus der Nachfrage nach Haushalts- und Militärsklaven bestanden zu haben (Stefan Heidemann). Beide Reiche befriedigten diesen Bedarf vor allem aus Gebieten außerhalb ihres eigentlichen Reichgebietes. Die islamische Welt kaufte Sklaven aus Osteuropa, dem subsaharischen Afrika, Zentralasien und den Gebieten entlang der Küsten der Arabischen See, dem westlichen Teil des Indischen Ozeans. Der Bedarf im islamischen Reich war um so größer, da es sich praktisch um eine Ein-Generationen-Sklaverei handelte. Die Gruppe der Sklaven reproduzierte sich faktisch nicht, da ihre Nachkommen, die zweite Generation, aufgrund von Regelungen im islamischen Recht, häufig frei wurden (Stefan Heidemann). Dies produzierte eine erneute Nachfrage.
Der Vergleich zwischen dem vormodernen Islam und Indien war spannend. Es war der Vergleich zwischen einem Reich mit einer Erlösungsreligion, die sich ihre ‚slaving zones‘ außerhalb suchte, und Gesellschaften mit einem anders gearteten religiösen Weltbild , die den Nachschub an mit Gewalt verpflichteter Arbeitskraft im Inneren der Gesellschaft suchte und dort auch fand (Annette Schmiedchen). Die religiös legitimierte, hierarchische Wertigkeit des Menschen in Indien unterstützt - bedingt vielleicht auch - diese Form der Abhängigkeit. Hier zeigte sich, dass das Islamische Reich und seine Nachfolgestaaten dem römischen (und wahrscheinlich auch dem sasanidischen) Reich sehr viel verwandter ist, als der indischen Zivilisation.
Fazit der historischen Vorträge über den Vorderen Orient: Die Sklaverei als Institution hat womöglich einen historischen Anfang, der mit dem langsamen Wachstum des Bereiches der Geldwirtschaft in einer Gesellschaft zusammenhängt. Dies muss sicherlich noch näher beleuchtet werden. Die Konferenz hat hier jedoch einen Anfang gemacht, um diese Diskussion anzuregen.
Interessant war ebenso der moderne Aspekt, den wir in den beiden Zielregionen, der Republik Indien (Jakob Rösel) und den Golfstaaten (Sabine Damir-Geilsdorf) untersuchten. In beiden Fällen wurde das Ausmaß der mit Gewalt zusammenhängenden Arbeitsstrukturen, aus denen die Menschen kaum entfliehen können, deutlich: kafāla, das Sponsorsystem in den Golfstaaten auf der einen, und ‚bonded labor‘, die Schuldknechtschaft, auf der anderen Seite der Arabischen See. Interessant war, wie sich ein Abhängigkeitssystem durch ein anderes ablöste. Wer der traditionellen ‚bonded labor‘ in Dörfern entkommen wollte, um wenigstens mit einem Taschengeld den Versuchungen der Stadt ausgesetzt zu sein, schließt sich den in modernen Sektoren arbeitenden ‚work gangs‘ in den Städten an, die die ‚bonded labor‘ somit weiterführen. Oft wissen die ‚bonded laborers‘ gar nicht, wie hoch ihre ursprüngliche und jetzige Schuld ist, weil ihre Familien schon seit Generationen in demselben Abhängigkeitsverhältnis leben. Anderen Arbeitern gelingt es, ihrer miserablen Situation dadurch zu entfliehen, dass sie es schaffen, von ‚recruitment offices‘ in das kafāla-System am Golf gepresst zu werden und dann in der Migration in ‚labor camps‘ am Golf enden, z. B. in Qatar. Für viele Menschen stellt dies eine objektive und subjektive Verbesserung ihrer Lage dar. Eine Bekämpfung dieser Institution würde (vielleicht nur kurzfristig) vielen Menschen eine Perspektive nehmen, die aus einer westlichen Betrachtung heraus jedoch gleichzeitig als menschenunwürdig empfunden wird. Wir haben hier eine Verstrickung von Abhängigkeiten und eine Dichotomie von Handlungsalternativen. Trotz des erheblichen Einsatzes von weiblichen ‚Haushaltshilfen‘ sind in dem Bereich kafāla und ‚bonded labor‘ vor allem Männer die am stärksten betroffene und größte Gruppe.
Klar wurde auch, dass mit dem Auftreten des apokalyptischen Islam vom Typus des Islamischen Staates (IS) Sklaverei nun im 21. Jahrhundert ein Zeichen der (islamischen) apokalyptischen Vorhersage wurde und damit Teil einer neuen, und zwar pervertierten, islamischen Identität (Rüdiger Lohlker). Bis zum 21. Jahrhundert wurde Sklaverei immer nur als ein gegebenes, rechtliches Verhältnis verstanden und es war häufig integraler Bestandteil der Wirtschafts- und Gesellschaftstrukturen in der islamischen Geschichte. Obwohl wir in der spätosmanischen Zeit, der Modernisierung im 19. Jahrhundert, eine kulturell bedingte Zählebigkeit der Sklaverei feststellen können, wird Sklaverei erst in den apokalyptischen Formen des Islam zum ideologischen Aushängeschild. Diese bewusste Form der Sklaverei hat vor allem Frauen und Kinder zum Opfer, da Männer entweder konvertieren müssen oder getötet werden.
Erhellend war auch der anfängliche Vortrag über die Definition und das Ausmaß der ‚modernen‘ Sklaverei (Stella Freitag). Fragen, wie beisspielsweise die Zugehörigkeit von Zwangsheirat und Kinderarbeit zum Sammelbegriff ‚Sklaverei‘, kamen hinzu und wurden diskutiert. Diese beiden Gruppen werden jedoch in den historischen Zusammenhängen bei dem Stichwort Sklaverei (bislang) nicht betrachtet. Dies ist vielleicht auch nicht möglich; denn worin besteht eine Abgrenzung zwischen einer arrangierten Heirat und einer Zwangsheirat? Diese Linie läßt sich vielleicht mit methodisch gut ausgearbeiteten Befragungen unter den Betroffenen ziehen, für vergangene Gesellschaften mit ihren hierarchischen Strukturen aber ist dies nicht möglich. Inwieweit projizieren wir bei der Definition (und eben der Ablehnung) von Sklaverei ein westlich geprägtes Familien- und Sozialverhältnis auf andere gegenwärtige und auch vormoderne Gesellschaften? Dies kann man verschieden beantworten. Gerade in vormodernen oder in wenig monetarisierten Gesellschaften lässt sich innerhalb der sozialen Hierarchie das Begriffspaar ‚frei-unfrei‘ kaum anwenden.
Die Gender-Frage bewegte uns auch hinsichtlich der Sklaverei. Sie ist nur schwierig zu beantworten. Wo wir mit ‚bonded labor‘ und dem kafāla-System zu tun haben, überwiegen die sozial verwundbare Männer, trotz der Vielzahl der ‚Haushaltshilfen‘ (maids). Die gender balance verschiebt sich jedoch, wenn man Zwangsheiraten dazunimmt. Die Versklavungen des apokalyptischen Islam sind eindeutig nur ein Randbereich innerhalb des globalen Ausmaßes von Sklaverei oder Sklaverei-ähnlicher Abhängigkeiten. Es steht außer Frage, dass Frauen, innerhalb hierachischer, patriarchalischer Gesellschaften, die durch Ausbeutung und Gewalt am stärksten gefährdete Gruppe ist. Jedoch muss man überlegen, ob die Frage der Gender-Asymmetrie in der Ausbeutung von Menschen/Frauen, nicht von dem Problem der Sklaverei in der wissenschaftlichen und historischen Analyse zu trennen ist. Hierbei ist Sklaverei definiert als Arbeitsverhältnis, das durch Ausbeutung, (partielle) physische Gewalt über den/die Ausgebeutete/-n und Einschränkung der Bewegungsfreiheit charakterisiert ist.
Das Symposium wurde organisiert von Stefan Heidemann (Universität Hamburg), Winfried Schmitz (Universität Bonn), Daniel Schwemer (Universität Würzburg) und Walter Slaje (Universität Halle-Wittenberg).
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